Dienstag, 22. Juli 2008

Kurzgeschichte aus meinem zweiten Buch: "Texte der Sehnsucht"

Hamburg bei Nacht – die Wölfe warten

Mein Körper schreit nach dir, mein Liebster; ich halte es nicht mehr aus.

Wieder ist sie da, diese Unruhe, denn ich verzehre mich, verzehre mich nach dir. Längst sind meine äußerlichen Wunden verheilt, doch die innere schwärt, sie treibt mich hinaus. Raus in die Straßen, raus in die Gassen dieser nackten Stadt, raus in die kalte Winternacht. Der wilden Witterung will ich mich aussetzen, dem Sturm mein schmerzverzerrtes Gesicht darbieten, auf das er es peitsche, auf das meine Tränen endlich versiegen.

Und, ich tue es. Folge meinem Drang, mich zu bewegen, eigentlich sinnlos, endlos zu bewegen – Bewegung nur um ihrer selbst willen? – ich weiß es nicht. Egal, es ist so, ich muss hinaus; dahin, wo der Wind, dahin, wo das Wetter ist; ich haste zum Hafen, zum Wasser, zur sturmgepeitschten See. Dunkle Gestalten flüchten vorbei, sie haben es eilig, dem aufziehenden Orkan zu entkommen. Gut so, denn ich habe es nicht; ich will ihn, den Sturm, auf dass er den Sturm in meiner Seele auslösche, diesen alles vernichten Wirbelsturm, der mal wieder droht, mich in seine klaffenden Abgründe zu zerren.

Endlich der Hafen, schwärzer als die Nacht.

Ich schreie in den Wind, meinen Schmerz, meine Sehnsucht. Ich will was tun, ja, muss was tun; ich balle meine Hände und laufe herum wie ein Tier ohne Ausweg, gefangen in einem Käfig, einem unsichtbaren Käfig der Sehnsucht, hinter dessen dicken Gitterstäben seine unendlich blauen Augen aufblitzen. Sein Lachen, seine Stimme, immer noch so tief in mir ... weiter schreie ich, keiner hört mich, aber egal. Nein, gut so; vielleicht würde man die schmale Frau in den ausgebleichten Jeans und der schwarz-abgenutzten Lederjacke, die in einer eiskalten Winternacht schluchzend im Hamburger Hafen mit ihren Fäusten gegen eine raue Hauswand hämmert, einsperren. Ich will meinen Kopf nehmen, tue es und der Schmerz bringt mich wieder zur Besinnung. «Schön», flüstere ich zu mir selber: «Es funktioniert. Schmerz kann Schmerz verdrängen. Ich will mehr.»

Weiter streife ich durch die Straßen. Würde man mich fragen, würde ich nicht wissen, wohin ich will; aber tief in meinem Inneren weiß ich es längst.

Denn da ist noch das andere, genauso tief in mir. Der Schmerz in meinem Kopf – Blut läuft mir über die Stirn, achselzuckend wische ich es ab – ist gut, aber nicht genug; denn da ist noch die andere Leere in mir. Die Leere, die Besitz sein will, gefüllt, nur von ihm. «Wo bist du, mein Lieber, wo bist du, verdammt? Ich kann nicht ohne dich! »

Wieder halte ich inne, der Regen pladdert stärker; wieder will ich zusammmenbrechen, einfach da, wo ich

stehe, ein Häufchen Elend in einer kalten Hamburger Nacht. Und wieder kommen mir seine letzten Worte: «Geh und lebe, ich weiß, du kannst es», in den Sinn.

Und – ich tue es. Mit zusammengebissenen Zähnen rappele ich mich auf. Und wandere dahin, wo sie sind. Die, die meine Leere füllen werden, für zumindest eine Nacht. Die Leere zwischen meinen Schenkeln, die er hinterlassen hat, die Leere meines Mundes, auf dass er nicht mehr schreie, die Leere an anderen Stellen, ich will sie gefüllt fühlen und so, obwohl Illusion, in Gier verwandeln. Es wird funktionieren, ich weiß es, ich habe es erfahren; unzählige Hände, unzählige Körper, unzählige Schwänze können nicht lügen. Ich lächele, denn sie werden da sein, die Wölfe, die mich nehmen werden, besinnungslos vor Gier, bis ich mich aufgeben kann, fallen lassen in Lust, endlich meinen Schmerz vergesse.

Und ich tue es.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen