Samstag, 23. Januar 2010


Meine Geschichte des Tages:

copyright: con dedizione-Verlag, Köln
auch erschienen im Buch: "Durst - Texte und Bilder der Sehnsucht 2"
ISBN: 978-3-939970-22-4
von: Pearl


EPISODE

Seine Augen sind weit geöffnet, als würde er durch mich hindurch sehen. Vergeblich suche ich in diesem Blick nach einem Schimmer von Wärme.
Er ist mir gefolgt, und zu spät habe ich es bemerkt.

Vor einer Stunde noch saß ich in der Bar, bin danach spazieren gegangen. Jeder Winkel dieses Parks ist mir vertraut. Hier hat die Stille der Nacht normalerweise ihren eigenen Klang. Aber heute war ich irgendwie abgelenkt.
Der neue Barmixer ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Kein einziges Wort hat er mit mir gespro-chen. Was verwunderlich ist, ich kenne es anders. Von meinem Platz aus habe ich ihn bei der Arbeit beobachtet. Dabei das feine Spiel seiner Muskeln verfolgt. Sein Unterarm zeigte ein seltsames Tattoo: Einen Tiger, der mit einem Drachen kämpft. Er jedoch würdigte mich keines Blickes.

Ein kräftiger Windstoß fegt meine Gedanken weg, und ehe ich reagieren kann, hebt sich mein Rock. Einen kurzen Augenblick lang entblößt er meine Schenkel, und vieles mehr.
«Heb ihn wieder hoch!»
Die Stimme des Mannes trifft mich wie ein Peitschenschlag. Unwillkürlich stoppe ich, trete einen Schritt zurück und stoße mit dem Rücken gegen einen dicken Baumstamm. Im selben Moment fällt der Rock zurück. Erleichtert fühle ich, wie sich der Stoff schützend um meinen Leib schmiegt.
Des Fremden untere Gesichtshälfte ist durch ein schwarzes Tuch verdeckt, doch seine sichtbaren Züge verragen ein Grinsen. Ein stiller Triumph, als gehorche ihm der Wind; eine offene Selbstge-fälligkeit, die mich maßlos ärgert.
«Heb den Rock hoch, sag ich dir», wiederholt er, diesmal drohender, kommt mir dabei deutlich näher. Unfähig, etwas zu entgegnen, fühle ich meinen hektischen Herzschlag, meinen schneller werdenden und hörbar gehenden Atem. Gleichzeitig erfüllt mich eine seltsame Wärme, breitet sich pfeilartig in mir aus. Von dort. Von meinem Schoß. Er pocht. Im Rhythmus meines Atems.

Viel zu lange zögere ich. Eine kräftige Hand erfasst meinen Hals, drückt meinen Kopf gegen das Holz des Baumes. Die andere Hand berührt meine Schenkel und gleitet langsam daran empor. Instinktiv presse ich meine Beine zusammen. Bis mich der Schlag trifft. Mitten ins Gesicht.
Er greift grob in mein Haar und schüttelt meinen Kopf, als wolle er einen Whiskey mixen. Wie verrückt muss ich sein, da an den anderen zu denken?
Dann zieht er mich an sich und flüstert mir ins Ohr:
«Ich will dich jetzt haben. Ohne Widerstand, klar?»
Sein verdeckter Mund gibt seinen Worten einen dumpf-bestimmenden Klang. Ich blicke ihn an, bin irritiert. Hinter mir der harte Baum, vor mir der Mann. Unmissverständlich, was er will. Gefan-gen zwischen Scylla und Charybdis.
Aber er lässt mir keinerlei Zeit mehr. Mustert meinen Leib und herrscht mich an:
«Beine breit und Rock hoch. Nochmals sage ich es nicht.»
Er lässt von mir ab, tritt einen Schritt zurück. Gebannt starre ich ihn an. Sehe, wie er seine rechte Hand drohend erhebt, als wolle er jeden Moment erneut zuschlagen, sehe den Ärmel seiner schwar-zen Lederjacke leicht nach unten rutschen und einen Teil seines kräftigen Unterarms entblößen. Sehe schließlich den Tiger, der mit einem Drachen kämpft.

Ein sanfter Wind streicht über meinen Venushügel, als ich meinen Rock hebe. Die Stille der Nacht klingt heute etwas anders.

Copyright: con dedizione-Verlag, Köln
Pearl, aus: "Durst -Texte und Bilder der Sehnsucht 2", ISBN: 978-3-939970-22-4



Sonntag, 3. Januar 2010

Gedicht zum Neuen Jahr: Sinne

SINNE

Einst bestand ich
aus Augen zum Sehen
aus Ohren zum Hören
eventuell Zunge, um Essen zu schmecken.

Dass Fingerspitzen ertasten
dass Lippen erforschen
dass Zunge berührt
dass Haut erschauert
dass Haut erzittert
dass Haut schweißnass unter deinen Händen
erglüht,
sich mit all ihren Poren
nach dir verzehrt
und Sättigung findet,
ist vollkommen,
allumfassend,

ich Bin.

Pearl